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19.07.2022

«Wir hätten lieber Schiedsrichter als Bussen-Einnahmen»

Seit offiziell 20 Jahren ist Andreas Baumann für den Verband tätig. Im Jahr 2002 als Ressortleiter Coaching begonnen, leitet er seit 2007 die Abteilung der Unparteiischen.

(Text und Foto: Bruno Füchslin, Medienberichterstatter FVRZ)

Fussball ist ja nicht allein hin und her, kreuz und quer sowie diagonal bis hin zu digital rennen und möglichst viele Tore erzielen beziehungsweise keine kassieren. Eine individuelle Karriere eröffnet von Beginn weg diverse Möglichkeiten, sich dieser Faszination zu nähern oder mit und in ihr «aufzugehen».
Andreas Baumanns Fussballweg begann als Kind; der Dorfpfarrer nahm Klein-Andi zuweilen an Spiele der Grasshoppers mit. Vom Drumherum begeistert, lag nahe, den Sport selbst auszuüben und dem vorab eher zugetanen Handball tschüss zu sagen. Der Start als C-Junior beim FC Küsnacht verlief zu Beginn ohne Hürden. Des Linksverteidigers Laufbahn nahm jedoch ein unerwartet frühzeitiges Ende: Eine Knie-Bänderverletzung mit folgender Operation förderte auch eine schon fortgeschrittene Abnützung dieses wichtigen Gelenks zutage.
Bereits im Junioren-A-Alter die liebste Freizeitbeschäftigung aufgeben zu müssen, tat weh, doch: «Der Fussball war deswegen nicht minder attraktiv. In den Überlegungen, weiterhin mit diesem Sport verbunden zu bleiben, reifte der Entschluss, mich als Schiedsrichter zu versuchen. Es folgten 24 Jahre Aktivzeit als Unparteiischer – Schiedsrichter und Assistent – bis hinauf in die 1. Liga», erinnert sich Baumann. Im Schmunzelkästchen blieb ihm ein Spruch des damaligen FCZ-Verteidigers Urs Fischer haften. Eine Assistenten-Intervention provozierte den aktuell so erfolgreichen Union-Berlin-Trainer zur Frage: «Wo haben die denn dich ausgegraben?»

Seit 2007 Leiter Abteilung Schiedsrichter
Andreas Baumanns Engagement blieb nicht unentdeckt. Eine Anfrage des viel zu früh verstorbenen ehemaligen FVRZ-Schiedsrichterchefs Markus Hug zur Mithilfe bedeutete den Einstieg in diese stets herausfordernde Verbands-Sparte. Zunächst während fünf Jahren als Ressortleiter Coaching tätig, wurde Baumann im Jahr 2007 mit der Wahl in den Regionalvorstand auch zur Leitung der Abteilung Schiedsrichter beauftragt.
Fortschreitendes Alter ist zwar nicht immer angenehm, vergrössert aber den Bereich an Erfahrungen. Was hat sich geändert im Lauf der Jahre? «Auf den Spielfeldern hat eine Fokussierung in Richtung Physis markant zugenommen, ebenso die taktischen Belange. Die spielerische Qualität hat darunter nicht zwingend gelitten, wurde aber – gefühlt bis nachgewiesenermassen – doch eher zweitrangig. Ein gegenüber früher weit höherer Anteil an Zweikämpfen macht die Aufgabe für die Spielleiter nicht unbedingt leichter. Markant verändert hat sich aber auch die Administration. Die digitale Verarbeitung sowohl von Verbandsseite her wie auch von den Unparteiischen selbst eröffnet angepasst-moderne Kommunikationen. Diese provozieren tatsächlich ab und zu die Frage, wie wir das früher erledigen konnten …».

Unlösbare (?) Problematik  
Eine permanente Herausforderung war, ist und bleibt die Minderzahl an Schiedsrichtern. Bekanntermassen muss jeder Verein pro Mannschaft, die offizielle Verbands-Unparteiische beanspruchen, selbst Schiedsrichter stellen. Diese wiederum müssen pro Halbjahr mindestens sechs Spiele leiten. Andreas Baumann sieht sich aktuell mit diesen Zahlen konfrontiert: «Allein im ersten Halbjahr 2022 traten 56 – zum Teil jahrelang Tätige – Refs zurück. Corona hat sicher dazu beigetragen; viele merkten, dass es auch ‹ein Leben ohne Fussball› gibt. Andere Gründe wie gesundheitliche Auslöser, berufliche Inanspruchnahmen, altershalber, fehlende Motivation oder auch Zwischenfälle, die ein ‹das muss ich mir nicht mehr antun› nach sich ziehen – wir müssen sie alle akzeptieren. Für den Frühlingskurs meldeten sich 34 Interessenten – ob alle die Karriere auch wirklich angehen und dabei bleiben: unbekannt. So bleibt dies: die eh schon angespannte Situation hat sich zusätzlich verschärft.»
Äusserst «konstruktiv» sind Bemerkungen in diese Richtung: «Was wollt ihr – ihr kriegt ja eure Bussgelder.» Diese betragen pro fehlendem Referee 2000 Franken pro Halbjahr – da kommt summa summarum eine erkleckliche Summe zusammen. Baumann: «Was nützen mir all diese Gelder, wenn Schiedsrichter fehlen und wir darauf angewiesen sind, dass viele der Gestandenen Woche für Woche Mehreinsätze leisten, die weit höher liegen als die Vorgaben? Die Bussen lösen das Problem nicht, vielleicht höchstens teilweise – dessen sind wir uns bewusst. Aber deswegen stehen sie nicht zur Diskussion. Wer eine andere Form von Sanktionen im Ideenpetto hat, kann sie vortragen. Wir können nicht so tun, als ginge uns dieses Manko nichts an. Wir können nicht einfach auf jene Vereine verweisen, die in Sachen Schiedsrichterwerbung zu wenig bis gar nichts machen und lieber Bussen zahlen. Ja, es ist so: wir hätten lieber Schiedsrichter als Bussen-Einnahmen.»

Ein starkes Team im Rücken
Der Fussball entwickelt sich weiter – wohin? Was würde Andreas Baumann regeltechnisch ändern, wenn er die Kompetenz hätte? «Wer nach dem Schiedsrichterpfiff noch den Ball blockiert oder ihn absichtlich berührt, kriegt gelb. Was im Handball geht, würde auch dem Fussball mehr als nur gut anstehen. Abgesehen davon: All die Regelanpassungen – haben sie diesem Sport in allen Fällen wirklich genützt, ihn weiterentwickelt? Ich wäre dafür: möglichst beim Einfachen bleiben. Dass die einstige ungeschriebene Vorgabe, dass sowohl der Unterhaltungszirkus Profifussball wie der Breitensport-Wettbewerb exakt dieselben Regeln haben sollen, stimmt natürlich auf Grund der Umstände höchstens noch bedingt. Vielleicht erleben wirs noch, dass der geliebte Sport eines Tages mit effektiver Spielzeit wie im Eishockey oder Handball über die Rasenbühne geht – wer weiss …».
Als Coach ist Andreas Baumann jedes Wochenende auf einem Spielfeld präsent. Nicht nur diese Partien verfolgt er mit einem «Schiedsrichter-Blick»: «In allen Partien – live oder am Fernsehen – gelten ungefähr 70 Prozent meiner Aufmerksamkeit dem Schiedsrichtergespann, dessen Regelauslegung, dessen Verhalten. Man ist halt doch erheblich beeinflusst von dem, was eine in den Jahren gewachsene Herzensangelegenheit nach sich zieht.»
Dass ihm das Team im Verbandsressort Schiedsrichter stets zur Seite steht, ihn unterstützt, mit ihm diskutiert und viele Entscheidungen im Kollektiv fallen, weiss Baumann mehr als zu schätzen. Das Fragewort «Rücktrittsgedanken?» quittiert er mit einem zugleich viel- wie nichtssagenden Lächeln: «So lange die Teamarbeit im Verband weiterhin so gut funktioniert und es mir Freude macht, werde ich den Vereinen weiterhin meine Erfahrungen zur Verfügung stellen.»

Andreas Baumann persönlich
geboren am 27. Juli 1961
aufgewachsen in Herrliberg
Beruf: Market Manager bei Mettler Toledo (Afrika)
Wohnort: Volketswil
Zivilstand: verheiratet
Verein: FC Küsnacht
Hobbies: Lesen, Sport (Mountain Bike & Wandern), Reisen, Wein
Stärken: Organisationssinn, Sprachen, interkulturelle Kompetenz
Schwächen: ungeduldig, manchmal zu direkt und zu fordernd, «pingelig»
Lebensmotto: «Habe dein Ziel vor Augen und vergiss die Menschheit und Umwelt nicht»

Mit den Fussball-Spielregeln ist Andreas Baumann seit vielen Jahren per Du.

Offizielle Mitteilungen (27.03.2024)

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Kommentar (22.03.2024)

Beispielhafte (Selbst-)Disziplin

von Bruno Füchslin, Medienberichterstatter FVRZ,
[email protected]  

Einige Jahre sinds her, als mich ein Berufskollege einlud, ein Rugby-Spiel zu fotografieren. Er selbst tat im Verein in der zweiten Mannschaft als lupenreiner Hobbysportler mit und wusste in Sachen Ambitionen nur Gleichgesinnte unter sich: Der Sport ist wichtig, aber das Vorher und Nachher als gesellschaftliche Bedeutung ebenso.

Nichts wie hin: so etwas ist auch fotografische Herausforderung. Da sass ich nun in der Allmend Brunau auf meinen Stühlchen. Hobbysportler? Hoppla denn. Was da in Sachen Physis abgeht, sprengt des gemeinen Fussballers Vorstellungen. Knallharter Körpereinsatz, der Body als Bollwerk, Panzer und Panzersperre zugleich. Filigranchen sind da wortwörtlich fehl am Platz; pure Männermuskeln sind gefragt.

Zweite Halbzeit, Positionswechsel. Vorne, per Kamera visuell verfolgt, Rugby. Hinter mir, auf dem Querfeld, akustisch wahrgenommen, Fussball. Und plötzlich fällt auf: Was haben diese Kicker immerzu zu motzen? «Schiedsrichter, das isch doch Foul; Schiri, es isch Offside; hey, es klars Hände; Schiri, Schiri, Schiri». Trainer, Spieler, Zuschauer – alle rufen kreuz und quer, vertikal und diagonal. Gibts wohl auch nur mal einen Spielzug, der nicht von Kommentaren begleitet wird? 

Vorne: Schiri entscheidet – und basta. Eine auffallende (Selbst-)Disziplin jener, die nun wirklich physisch einstecken müssen. Eine beispielhafte Akzeptanz der Entscheide dessen, dem die Spielleitung übertragen wurde und wird. So rüpelhaft dieses Rugby für ein Laienauge auch wirken mag: Was da an Achtung und Respekt gegenüber dem gegnerischen Team, vor allem aber dem Unparteiischen sowohl als Person wie in der Ausübung seines Amts entgegenkommt, könnten, ja müssten Fussballer und Umgebung vielleicht wieder mal intus nehmen. Es täte dem Fussball mehr als nur gut. Anschauungsunterricht kann, aber muss nicht nur per Fotoapparat genossen werden.